Kein Bereich in der Crypto-Szene zeigt die rasante Entwicklung der Blockchain-Technologie eindrucksvoller als der von Initial Coin Offerings (kurz ICOs). Von 2013 bis 2017 noch recht stiefmütterlich behandelt schossen seit Mitte 2017 ICOs regelrecht aus dem Boden. Was hat sich in dieser Zeit am Wesen von ICOs und dem klassischen Crowdsale verändert?
ICOs: Alternative zur klassischen Unternehmensfinanzierung
ICOs etablierten sich relativ schnell als alternative Methode zur klassischen Unternehmensfinanzierung. Sie ermöglichten es Gründern von Blockchain-Start-ups, ihre Idee einer breiten Masse zu präsentieren, sowie schnell und einfach das zur Verwirklichung der Idee benötigte Kapital in Form von Kryptowährungen einzusammeln. Es war auch der Beginn von Start-ups, sich dem klassischen Korsett der mühseligen Finanzierungsrunden zu entziehen. Geld wird direkt von der Community eingesammelt, anstatt auf klassische Venture Capital- oder Business Angel-Investments zu warten – einem Prozess, der sich über Monate erstrecken kann.
Die Idee hinter dieser neuen Finanzierung basiert auf dem klassischen Gedanken von Blockchain und Kryptowährungen: Das Loslösen von vorhandenen Systemen und die Verteilung des Geldes auf viele kleinere Investoren (Dezentralisierung) anstelle von größeren zentralisierten Instanzen wie Venture Capital Funds.
Ein ICO besteht damit zum größten Teil aus dem klassischen Crowdsale, Token Sale oder Public Sale. Die Seed-Runde oder auch ein Private Sale dienten lediglich dazu die nötigen Gelder zu sammeln, um den Crowdsale durchführen zu können.
Schnelle Veränderung des ICO-Sektors und neue Standards
Wie anfangs bereits gesagt, ändert sich kein Bereich in der Cryptoszene so schnell wie der von ICOs. Nicht nur, dass ständig die neusten und besten Projekte gepitcht werden, sondern auch, dass ICOs sich immer wieder neu erfinden und den sich ändernden Bedingungen schnell anpassen. Die Strategie von ICOs hat sich verändert. Der Ansatz ist häufig, trotz einer sich zuziehenden Schlinge aus regulatorischer Sicht den maximal möglichen Geldbetrag einzusammeln.
Wo es anfangs egal war, wer wieviel investiert hat und aus welchem Land er oder sie kommt, haben ICOs mit ihrer fortschreitenden Beliebtheit und der Masse an eingesammeltem Geld die Regulatoren der jeweiligen Staaten auf den Radar gerufen.
Heutige Standards sind KYC- (Know Your Customer) und AML-Prozesse (Anti Money Laundering). Ebenso wie maximale Investitionsgrenzen und andere Mechanismen, um mögliche rechtliche Verletzungen zu verhindern. Der wohl gravierendste Wechsel ist die Behandlung der Community und des Verlaufs eines ICOs. Wo anfänglich Seed- und Private Sale-Phasen dazu dienten, genug Geld für die Durchführung des ICOs zu sammeln oder Familie und Freunde partizipieren zu lassen, hat sich der gesamte Sektor zunehmend „professionalisiert“ und damit auch leider zentralisiert.
Ist Dezentralisierung Geschichte?
Die einst gelobte Dezentralisierung findet kaum noch statt. Start-ups setzen sowohl aus rechtlichen, als auch aus strategischen Gründen immer mehr auf strategische Investoren und größere VC-Funds, um Geld schnellstmöglich und „sicher“ einzusammeln. Der Crowdsale oder Public Sale dient mit einem meist nur noch kleinen Prozentsatz ausschließlich der Erzeugung von Hype und einer Marketing-Maschinerie. Das Ziel: Eine hohe Nachfrage zu erzeugen, sobald ein Token gelistet wird.
Zu viele Projekte legen zu wenig Wert auf die Community
VCs und andere strategische Investoren zahlen dabei sogar nur einen Bruchteil des Crowdsale-Preises (z.B. 0,10 EUR anstatt 1 EUR), gehen aber natürlich auch ein höheres Risiko ein. Dennoch sollte auf Grund der Kürze der Finanzierungsphase dieser Wert in einem gesunden Maß gehalten werden. Während VCs auf diese Weise größere Beteiligungen einsammeln, können kleinere Investoren im späteren Crowdsale meist nur noch nach einem strengen Auswahlprozess und zu kleinen Beteiligungen (z.B. 0,1-1 ETH) am ICO partizipieren.
Nicht nur, dass die echten Unterstützer – nämlich die Community – der Projekte weniger erhalten, sie müssen auch noch strenge Auswahlprozesse wie Tests und Lotterien durchlaufen oder Social Media-Beiträge oder Artikel beisteuern („Proof of Care“), um sich bei Topprojekten mit zehntausenden anderen „Bewerbern“ durchzusetzen. Und das alles mitunter für eine mickrige Beteiligung zum höchsten Preis.
Die Community wird dabei mehr vernichtet als wirklich aufgebaut, was den ohnehin überhitzten ICO-Bereich nur noch kurzfristiger macht. Wirklich starke Communities nehmen zunehmend ab, was am Ende dem Projekt selbst mehr schadet als hilft.
Ohne User und Community bringt das beste Produkt der Welt nichts. Ihr Geld haben die Start-ups mit dieser Strategie zwar zurzeit noch sicher, aber die Wahrscheinlichkeit, dass das Projekt wirklich jeden Anleger glücklich macht oder das Produkt jemals genutzt wird sinkt damit sehr rapide. Teilweise nehmen VCs sogar einen Teil ihrer Beteiligung und verkaufen sie bereits vor Listing auf einer Kryptobörse zu einem hohen Aufschlag an kleinere Investoren in sogenannten Over-the-Counter-Geschäften (OTC).
Das wichtigste für eine gute Long-Term-Performance von ICOs: Gute Technologie und eine starke Community
All diese Entwicklungen sorgen dafür, dass die Performance von ICOs zunehmend abnimmt und es immer schwieriger wird, ohne ein starkes Netzwerk als kleinerer Investor noch auf der Gewinnerstraße zu sein.
Dies ist kein Statement gegen ICOs per se, aber eine Warnung für kommende Start-ups, ihre Prozesse und Herangehensweisen zu überdenken und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: gute Technologie und eine starke Community. Das ist es, was die guten von den schlechten Projekten unterscheidet, vor allem in Bezug auf eine Long-Term-Performance.
Wer weiter in diesem Spiel gewinnen möchte, muss sich den immer strengeren Regeln anpassen oder erstmal ein paar Runden aussetzen.
ICO-Investing: Nicht ohne die richtige Recherche
Meine Empfehlung: In diesem Sektor extrem vorsichtig vorzugehen und sich mit den Regeln vertraut zu machen. Bevor man sich blind hineinstürzt. Es gibt keinen vergleichbaren Bereich im Investment Space, der so viele Chancen und Risiken in sich birgt und sich so rasant ändert, wie dieser. Dies macht ICOs zu einem für mich extrem spannenden Bereich. Jedem muss aber klar sein, dass es enorm wichtig ist, seine Hausaufgaben zu machen und immer am Ball zu bleiben. Die Regeln von heute gelten morgen nicht mehr. Passt man sich nicht an, fliegt man schneller aus der Bahn, als man denkt.
Man kann einiges Gutes und Schlechtes über ICOs sagen, aber in meinen Augen sind sie der Katalysator für Tokenisierung und eines der größten Killerfeatures, die die Blockchain mit sich gebracht hat.
ICOs kommen gerade in die Pubertät und sind nicht leicht zu handhaben, aber bleibt man am Ball, erlebt man eine der spannendsten Zeiten und die Geburt einer neuen Unternehmensfinanzierungs-Methode, die 2019 sicher durch die Einführung von tokenisierten Wertpapieren, sogenannten Security Tokens, noch extrem an Fahrt aufnehmen wird.
[Bild: Sander Muller/ Base58, Shutterstock]