Das vielversprechende Projekt der Envion AG, durch mobiles Blockchain-Mining erneuerbare Energien effizient zu nutzen, mündet in einem hoch erfolgreichen ICO.
Das Blockchain-Start-up möchte eine Lösung bezüglich der hohen Energiekosten sowie der geographischen Konzentration des Kryptominings durch flexible Mining-Einheiten liefern. Jetzt entsteht plötzlich ein interner Rechtsstreit zwischen dem CEO und dem Gründerteam über das mögliche Verschwinden von 20 Millionen Token.
Was ist das Konzept der Envion AG?
Der beachtliche Energieverbrauch durch das Schürfen von Kryptowährungen ist allgegenwärtig in der Kryptominingszene. Aktuell kostet das Minen eines Bitcoins ca. 4.000 US-Dollar (bei einer Hashrate von 140.000Gh/s; 13.700Watt zu 0,1 Dollar/kWh und aktueller difficulty). Zudem trägt die ungleiche Verteilung der Miningpower zu hoher geografischer Konzentration aller Mining-Aktivitäten bei. Laut Bitcoin-Darlehensvermittlung Bitbond konzentriert sich in China knapp 65% der Leistung. Seit Verbot des Kryptohandels in China Ende 2017 beginnt langsam eine Abwanderung.
Das vielversprechende Projekt von Envion soll die beiden präsenten Problematiken des Kryptominings fokussieren. Mit den eigenen Mobile Mining Units (MMU) soll die Blockchain grüner gestaltet werden. Die mobilen Schiffscontainer enthalten Mining-Units und können flexibel und mit geringem Aufwand zu Standorten mit niedrigen Stromkosten wechseln und an potenzielle Stromquellen andocken. In nur drei Minuten sollen die Einheiten fähig sein Mining zu betreiben.
Da sich die Speicherung von energetischer Überkapazität weiterhin schwierig gestaltet, erscheint die Nutzung überschüssiger Energie für Mining höchst effizient. Adressiert sind die MMUs beispielsweise an Photovoltaikanlagen. Die Betreiber erneuerbarer Energiequellen werden somit subventioniert. Durch geringe Stromkosten aufgrund der Nutzung von überschüssigem Strom, sollen außerdem Anreize geschaffen werden die Miningkonzentration umzuschichten.
Verständlicherweise freute sich Envion CEO Matthias Woestmann im Januar über den erfolgreichen ICO. Das Blockchain-Start-up nimmt mit ihrem ICO 100 Millionen US-Dollar ein. „Wir danken unseren Investoren. Mit ihrer Hilfe werden wir diesen Traum wahr werden lassen.“, so Woestmann gegenüber dem Handelsblatt.
Alles nur heiße Luft? In einem Video vom 16.Mai meldet sich Woestmann zu seiner Inaktivität und gibt öffentlich einen Rechtsstreit mit dem Gründerteam bekannt. Kurz darauf reagiert das Gründerteam. Es folgen gegenseitige Beschuldigungen, die Situation bleibt allerdings unübersichtlich.
Die Perspektive von CEO Matthias Woestmann
Woestmann erstattet in Berlin Strafanzeige gegen das Envion-Gründerteam, nachdem durch eine externe Untersuchung der ungeplante, zusätzliche Bestand von ca. 20 Millionen Token erstellt und verkauft wurde. Er erhebt schwere Vorwürfe:
„Jeder hat geglaubt, dass eine gute Idee auch von guten Menschen getragen wird. Einige Mitarbeiter des Envion-Teams haben in der Nacht nach dem ICO zusätzlich – ohne das Wissen des Vorstandes – mehr als 20 Millionen Token erstellt.“
Millionenbeträge sind nicht mehr auffindbar. Laut Handelsblatt ist in der Strafanzeige davon die Rede, dass die Token an „unbekannte Personen verteilt“ wurden. Die vermeintlich illegal erstellten Token wurden an unterschiedliche Wallets ausgewiesen, um deren Ziel zu verschleiern. Von den anfänglich geplanten 100 Millionen EVN-Token liegen öffentlich sichtbar aktuell ca. 127 Millionen Token auf der Envion-Blockchain. Dieser Vorfall setzte eine Kaskade an Ereignissen frei. Die schweizerische Aufsichtsbehörde sowie PwC als Wirtschaftsprüfer traten von der Kooperation zurück.
Die Perspektive des Gründungsteams um Michael Luckow
Michael Luckow, Leiter des Gründungsteams, kontert diese Aussagen von Woestmann und erklärt gegenüber dem Handelsblatt, dass die Token auf Anweisung von Woestmann erstellt wurden und für eine spätere Beteiligung eines Investors gedacht gewesen seien. In einem Video betont der Community Manager Laurent Martin, dass die Token niemals illegal erstellt wurden, sondern der Mehrbestand von Anfang an kommuniziert wurde. Die zusätzlichen Token wurden für „Prämien, Vorverkauf und Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten“ erstellt. Anfragen des Gründerteams an Woestmann, diese Token zu verbrennen, kam dieser nicht nach.
Das Gründerteam seinerseits behält sich ebenfalls das Recht vor, rechtlich gegen die Anteilseigner der envion AG (Schweiz), namentlich Quadrat Capital GmbH und deren Direktor Matthias Woestmann vorzugehen – ebenfalls CEO der hier thematisierten Envion AG. Streitwert sind die Eigentumsrechte an Envion, welche Woestmann dem Gründerteam angeblich „rechtswidrig entwendet“ hat. Ursprünglich standen 81% der Eigentumsrechte den Gründern über die Trado GmbH zu – allerdings gaben sie ihr Stimmrecht an Woestmann ab. Dies „verwässerte die Anteile der Gründer bei einer Finanzierungsrunde auf 33 Prozent“, so das Handelsblatt.
Welche Konsequenzen hat der Konflikt für EVN-Investoren?
Auf die offiziellen Kanäle von Envion habe Woestmann keinen Zugriff mehr. Er stellt zudem die Wichtigkeit heraus, alle Informationen zu zukünftigen Handlungen und Lösungen envion-recovery.org zu entnehmen. Martin kontert und weist darauf hin, dass der Twitteraccount sowie der Artikel von Medium als „Primärquelle“ angesehen werden sollen.
Die Kurs-Sensitivität von ICOs ist in Anlegerkreisen bekannt. Die internen Streitigkeiten führen aktuell zum Einbruch des EVN-Kurses. Während der Preis des ICOs zu Beginn bei einem US-Dollar pro EVN lag, ist der Coin jetzt auf 0,15 US-Dollar abgestürzt. Klar ist: Die Investoren verlieren durch die Unstimmigkeiten viel Geld.
Das Gründerteam rund um Michael Luckow ist „paralysiert, monatelang nichts von Woestmann gehört zu haben“. Das lange Schweigen wollte Woestmann jedoch erst brechen und sich zu Wort melden, wenn er den Anlegern Lösungen unterbreiten könne.
Zwei Lösungsmechanismen kristallisieren sich zunehmend aus dem unübersichtlichen Dilemma heraus: Während Woestmann den Investoren den Umtausch der EVN-Coins in einen neuen Token – welcher die gleichen Dividendenrechte enthalten soll wie EVN – anbietet, liegt für das Gründerteam offensichtlich auf der Hand, die Zusatztoken zu verbrennen. Die Autorisierung hierfür liegt laut Laurent Martin allerdings bei CEO Woestmann.
Wer nun den Key für die verschwundenen Token hält ist unklar. Der Nebel rund um die Envion AG wird sich in den nächsten Tagen sicherlich lichten. Martin verspricht zumindest, dass er Beweise hat, um den Betrug auffliegen zu lassen.