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Artikel 13: Wettrüsten zwischen Blockchain und Zensur

Marius Kramer
Marius Kramer
Marius Kramer
Autor*in:
Marius Kramer
Writer
20. September 2018

Vor drei Monaten berichtete base58 bereits über das Leistungsschutzrecht. Seitdem wiegte sich die Öffentlichkeit in Sicherheit: es sah so aus als sei das Zensurgesetz abgesetzt – doch dem ist leider nicht so. Es kommt vielleicht schlimmer.

Artikel 13 und die Bedrohung der freien Gesellschaft

Um einen Hintergrund zu schaffen, wird der vorangegangene Artikel zum Leistungsschutzrecht von base58 empfohlen, den zahlreiche Leser geteilt haben (hierfür ein großes Danke vom Autor!).

Kurzgesagt: um die stetig fallenden Gewinne der traditionellen Verleger zu retten und ein angebliches Wettbewerbsungleichgewicht zwischen Verleger und Internet-Präsenzen auszugleichen, sollte das sogenannte Leistungsschutzrecht eingeführt werden. Dieser Gesetzesvorschlag mit wohlklingendem und scheinbar gerechtem Namen beinhaltete zwei mittlerweile sehr bekannte Artikel.

Der bekannteste ist Artikel 13, ein Artikel der sogenannte Upload-Filter zur Pflicht macht. Alles was ins Internet hochgeladen werden würde – Fotos, Memes und Videos – müsste zunächst einen Filter passieren, um mögliche Urherberrechtsverletzungen zu vermeiden. Dies würde das Internet wie wir es heute kennen sofort stoppen. Ein freies Internet ist damit de facto nicht mehr möglich.

Der andere bekannte Artikel ist Artikel 11. Dieser beschreibt eine Link-Steuer. So sollen Lizenzgebühren auf Links erhoben werden können. Journalismus, wie wir ihn in der heutigen Zeit kennen, wäre damit unmöglich. Wissenschaftliche Arbeiten, die heute aus einem immensen Pool von Wissen schöpfen können, bekommen Probleme beim Verlinken von wissenschaftlichen Quellen. Internetseiten, Blogs und andere Internet-Entitäten werden mit dieser Regelung aktiv angegriffen, um eine sterbende Verlagsindustrie am Leben zu erhalten. Hierbei ist es nicht zwingend so, dass Verlage der Vergangenheit angehören müssen. Sicherlich wäre es möglich gewesen eine Transition ins Informationszeitalter zu schaffen, jedoch hätte man dafür früh genug beginnen müssen und das Internet nicht als „Feindbild“ deklarieren dürfen, sondern als Chance für die Zukunft.

Am 05.07.2018 leuchtete jedoch Hoffnung auf: das EU-Parlament wies das Leistungsschutzrecht zurück – jedoch erst nach starker Kritik in der Bevölkerung und den neuen Medien wie YouTube und Facebook. Die Begründung für die Zurückweisung: das Gesetz bedrohe die Meinungs- und Pressefreiheit. Damit sah es so aus, als sei ein schlechtes Omen abgewehrt und die Freiheit gerettet.

Doch damit endete es nicht: Artikel 13 kehrte überarbeitet und mit viel weniger Medienabdeckung zurück. Kaum erneut auf dem Radar aufgetaucht, wurde es am 12.09.2018 verabschiedet. Allen voran führte Berichterstatter Axel Voss (CDU) die Neuvorlage dieses autoritären Gesetzes. Er freute sich sichtlich beim Erfolg der Abstimmung im Saal und hob die Hände in Gewinnerpose.

Die letzte Entscheidung zu diesem Gesetz bleibt jedoch bis Frühjahr 2019 aus. Hier findet sich noch die Möglichkeit die EU-Abgeordneten anzurufen, E-Mails zu schreiben und/oder Petitionen zu unterschreiben. Das Leistungsschutzrecht und das penetrante Wiederauflegen bereits gekippter Zensurgesetze ist kein seltenes Phänomen. Weltweit wird es immer häufiger mit vorauseilendem Gehorsam der Tech-Giganten in Verbindung gesetzt: YouTube setzt beispielsweise intern bereits Upload-Filter ein und demonetisiert unbequeme Kanalinhaber, Arte zeigte vor kurzem eine interessante Doku über Facebooks-Moderatoren-Squad und Snapchat blockte eigenständig den Sender Al-Jazeera in mehreren Golf Staaten.

Freiheit findet seinen Weg – Blockchain als Chance

Hier kommt eine Basistechnologie der Kryptowährungen ins Spiel: die Blockchain. Seit 2009 bis heute hat sich ihr Anwendungsgebiet stark erweitert. Vom Registerbuch einer digitalen Währung fand sie Einzug in allerlei Bereichen, wo es wichtig ist, Informationen festzuhalten und Manipulation unmöglich zu machen. Da die Blockchain dezentral auf tausenden Computern weltweit gespeichert wird, ist es praktisch unmöglich eine Blockchain zu stoppen. Man müsste das System angreifen, was mit hohem finanziellem und logistischem Aufwand verbunden ist. Lediglich große und wirtschaftliche gut gestellte Staaten hätten die Möglichkeit dazu und auch dann wird dies keine verdeckte Unternehmung.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Zensurbewegungen erwächst eine Community, die sich mit der Blockchain eine Freiheit erkämpft. Alternativen zu sozialen Medien sind entstanden und bewegen sich langsam aus ihren Kinderschuhen. Die Skandale um Facebook und Cambridge Analytica zeigen, dass nicht nur Zensur ein Problem ist, sondern auch die Sicherheit der Daten der Nutzer. Auch dieses Problem kann die Blockchain lösen. Sie ist ein Produkt der Kryptographie, einer Wissenschaft die sich mit Informationssicherheit auseinander setzt und von daher von Natur aus mit den Werkzeugen ausgestattet ist, Nutzerdaten zu schützen und ungenehmigte Eingriffe zu verhindern.

So ist es bei der größten funktionierenden Blockchain weltweit: der Bitcoin-Blockchain. Sie ist kryptographisch so abgesichert, dass es aktuell praktisch nicht möglich ist Bitcoin von anderen Nutzern durch Schwachstellen im System zu stehlen. Die Diebstähle, die man in den Medien mitverfolgt, sind Schwachstellen in den Schnittstellen. Diese Schwachstellen sind schlechte Passwörter, schwach programmierte Wallets oder Social Engineering – eine Technik die auf die Unwissenheit der Nutzer abzielt und versucht Log-In-Daten aus ihnen herauszukitzeln.

Um die Technologie der Blockchain weiter zu verbreiten und damit ihren Einzug im Alltag zu gewährleisten, müssen mehr Projekte gestartet und ihre Bekanntheit erhöht werden. So erklärt der Gründer und CEO der Waves Plattform:

„Es ist sehr wichtig mehrere erfolgreiche Blockchain-Projekte im öffentlichen Sektor zu starten. Die offensichtlichsten Anwendungen der Blockchain Technologie finden sich in öffentlichen Registern, wie dem Katasteramt, dem geistigen Eigentum und anderen Verträgen.“

Waves ist eine Blockchain-Plattform, die besonders dadurch bekannt ist, dass sie ihren Nutzern die Möglichkeit gibt, eigene Tokens auf einfache Weise zu erstellen. Für private Internetnutzer bieten sich mittlerweile auch alltäglichere Projekte.

So ist im Blockchain-Sektor Steemit bekannt. Die Blogging-Plattform belohnt Nutzer bei sozialen Interaktionen mit eigenen Tokens. So kann man Beiträge upvoten, Teilen und selbst verfassen. Einträge und Interaktionen werden auf der Blockchain gespeichert, willkürliche Zensur wird damit unmöglich. Steemits Schwesterplattform d.tube versucht eine alternative zu YouTube aufzubauen. Diese Alternative funktioniert ähnlich wie Steemit, aber auch hier werden Videos und Kommentare mit der Blockchain verknüpft, sodass mehr Freiheit gewährleistet ist.

Sphere und Diaspora versuchen Facebook den Rang abzulaufen. Sphere imitiert Facebook, zielt aber auf bessere Datensicherheit ab und will damit Abstand von Vorfällen wie bei Cambridge Analytica. Diaspora ermöglicht seinen Nutzern selbst zu wählen, wo private Daten gespeichert werden, um seinen Nutzern mehr Kontrolle zu geben. Mastodon macht sich als dezentrale Twitter-Alternative bekannt und wird seit 2016 von einem deutschen Team programmiert.

Alles in allem ist diesen Projekten aber gemeinsam, dass sie sich größtenteils noch in der Beta-Phase befinden. Das bedeutet, dass bereits ein funktionierendes System existiert, dass aber konstant neue Updates hinzugefügt werden und dass Programmfehler auftreten können, die aus der Unvollständigkeit entstehen. Dieser Zustand ist aber nur eine Frage der Zeit und des eigenen Verständnis, denn die Programme funktionieren. Die zugrundeliegende Blockchain-Technologie ist aber eine zukunftsweisende Technologie, für die Probleme unserer Zeit, in der die Gesetzgebung scheinbar die Bedürfnisse des Bürgers weniger zu achten scheint.

Das zweischneidige Schwert der Blockchain

Dass Freiheit mit Verantwortung einhergeht, ist eine Tatsache, die in einer freien Gesellschaft ironischerweise häufig vergessen wird. Was bei den einen als Unwissenheit angerechnet werden muss, kann bei Kriminellen als Böswilligkeit angerechnet werden. Vor dem Hintergrund der Nicht-Zensierbarkeit der Blockchain erscheint uns nicht nur aufrichtige freie Meinungsäußerung, sondern auch Missbrauch dieser Technologie.

Der Staat ist ambivalent. Er kann ein Tyrann sein, aber auch das fürsorgliche Organ. Was von der EU als Zensurgesetz missbraucht wird, hilft auf anderen Seiten gegen Rechtsverletzung von privaten Personen und Unternehmen, sowie anderen Straftaten. So ist es gut, dass peinliche Nacktbilder gelöscht werden müssen und dies auch möglich ist. Außerdem ist eine Strafverfolgung möglich, um Recht und Ordnung durchzusetzen. Eine Speicherung auf einer Blockchain macht eine Löschung und eine Strafverfolgung aber nahezu unmöglich.

Auch mit steigender Radikalisierung von rechten, linken und religionsfundamentalistischen Organisationen könnte man sich in Zukunft machtlos gegenüber Verbreitung von Propaganda auf Blockchain sehen. Bereits 2016 wurden Vermutungen zum Prognosemarkt Augur angestellt. Dort können Nutzer auf den Ausgang von Situationen wetten und somit dient der ganze Marktplatz als Prognosemarkt. Beobachtungen zeigen, dass ein Prognosemarkt manchmal besser geeignet ist um zukünftige Ereignisse vorherzusagen, als Aussagen von Experten.

Neben harmlosen Vorhersagen wie Ergebnissen von Sportmannschaften oder Wahlen, wurde Nutzern auch klar, dass man theoretisch auf Menschenleben wetten könnte. Dieser absurde Gedanke lässt sich natürlich weiterspannen, sodass Ausgänge auf Kriege und Katastrophen „wettbar“ gemacht werden können. Man kann sich dabei vorstellen, dass gewisse Wettsummen Menschen dazu verleiten können, den Ausgang der Situationen selbst in die Hand zu nehmen – ein brisantes Thema.

Blockchain – politischer Diskurs ist gefragt

Die aktuellen Zeiten zeigen mehr denn je, dass die Geschwindigkeit, mit der sich die menschliche Gesellschaft weiterentwickelt, drastisch zunimmt. Dies macht es nötig, dass über neue Technologien im politischen Diskurs häufiger gesprochen werden muss. Leider ist dies selten Fall, wie der anachronistische Artikel 13 zeigt: es wird eine Rettung der Verlage finanziert, die mit der Innovationskraft des Internets bezahlt werden soll.

Während manche Politiker erst jetzt realisieren, dass wir vor einem gesellschaftlichen Umschwung stehen, der mit der Industrialisierung vergleichbar ist, tauchen am Horizont schon Technologien auf, die nicht mal ansatzweise in dem Verständnisbereich jener Politiker liegen. Dies ist keine Diffamierung, dies ist ein Aufzeigen einer Schwachstelle im System. In der freien Marktwirtschaft ist es üblich Kompetenzhierarchien aufzubauen und jene Experten zu befragen, die sich mit der Materie am besten auskennen. So fragt man bspw. einen Arzt bei körperlichen Beschwerden und spricht ihm eher eine Kompetenz zu, als einem Menschen eines anderen Berufes. Letztendlich wird uns das sensible Thema der Kompetenz besonders stark bewusst, wenn es um Menschenleben geht, wie im Beispiel eines Chirurgen, den wir bei einer Operation dem Metzger vorziehen.

Blockchain ist nicht die einzige Technologie, über die gesprochen werden muss. Künstliche Intelligenzen könnten in Zukunft eine Bedrohung für die ganze Menschheit werden, wenn man ihre Entwicklung nicht anständig reguliert. Autonome Fahrzeuge sind zwar eine Erleichterung für die Gesellschaft, doch bedrohen sie Millionen Arbeiter im Logistik und Speditionssektor. Die Liste geht weiter mit dem Internet-of-Things und Big Data – allen gemein ist aber, dass sie teilweise so komplexe Themengebiete sind, dass man sich in den kühnsten Träumen nicht vorstellen kann, welche Auswirkungen diese Technologien mitbringen.

Welche Moral sollten wir hieraus ziehen? Um überhaupt etwas bewegen zu können, muss eine Presse- und Meinungsfreiheit bestehen. Kommunikation ist der Schlüssel und wenn dieser durch Zensur entwendet wird, ist eine Gesellschaft blind. Offener Diskurs ist zur Wahrheitsfindung notwendig, Zensurgesetze hingegen unterdrücken diese selbstregulierende Funktion. Was bringt all die Aufklärung, wenn man niemanden erreicht?

Insofern sind wir gespannt, wie die EU im Frühjahr kommenden Jahres abstimmen wird. Bis dahin kann man noch Einfluss auf die EU-Politiker durch die oben bereitgestellten Links nehmen, bevor das Leistungsschutzrecht die freie Kommunikation im Internet in die Steinzeit zurückwirft. Hoffen wir, dass die Blockchain nicht der letzte Strohhalm sein muss, an dem sich freiheitsliebende Bürger festhalten müssen. Sollte es doch dazu kommen, bleibt die Blockchain nicht nur eine Technologie – sie könnte Bestandteil einer neuen Gesellschaft werden.

[Bild: Marko Aliaksandr/ Shutterstock]